Das Wirtschaftswunder der 60er Jahre beschert den Kölnern einen stetig steigenden Wohlstand. Als erste Gastarbeiter kommen 1961 Italiener in die Domstadt. Nach der Wiederaufbauphase haben die Kölner wieder mehr Zeit, Sport zu treiben und Vereine wie der Turnverein Mülheim am Rhein verzeichnen Rekordzuwächse. Mit den Worten „unser Verein ist der größte im Kölner Turngau!“ konnte der 1. Sprecher Hans Weiden die Jahreshauptversammlung am 4. März 1961 eröffnen. Denn der Mitgliederbestand war um weitere 200 Sportler auf insgesamt 1200 gestiegen. Damit konnten die Mülheimer Turner die langjährige Vorherrschaft der Kölner Turngemeinde von 1843 brechen. Ein zahlenmäßig derart großer Verein konnte schon bald nicht mehr „vom grünen Tisch“ aus geleitet und verwaltet werden, so dass

bei der Hauptversammlung zwei Jahre später, am 30. März 1963, die Einrichtung einer Geschäftsstelle im Turnerheim und die Einstellung eines vollberuflichen Hausmeisters gefordert wurde. 

Auch mit der „sportlich-technischen Ausrüstung“ ging es voran. Denn die Modernisierung der Sportanlagen wurde am 15. Mai 1960 abgeschlossen und dem lange geplanten Bau der Tennisplätze stimmte der Sportausschuss der Stadt Köln am 6. September desselben Jahres zu. Die Zustimmung zum Tennisplatz-Bau war das Startsignal für die Tennis-Liebhaber Mülheims sich am 24. Oktober 1960 in einer Tennisabteilung dem Mülheimer Turnverein anzuschließen. Im September 1961 wurden drei Tennisplätze fertiggestellt und eifrig bespielt. Da die über 120 Mitglieder der Schwimm-Abteilung Anfang der 60er Jahre in einem kleinen Lehrschwimmbecken in der Tiefenthalstraße trainierten, beantragte der Verein schon 1960, dass ihm mehrere Trainingsabende in dem geplanten Hallenschwimmbad in der Genovevastraße zugestanden wurden. Dieses öffnete allerdings erst am 2. Dezember 1966 seine Pforten. 

In einer außerordentlichen Hauptversammlung vom 14.4.1962 wurde nun auch die Satzung des Mülheimer Turnvereins dem dynamischen Verein angepasst und in ein „modernes Gewand“ gefasst. In Anlehnung an die Richtlinien des RTB und des DTB wurde sie verändert, ergänzt und im Aufbau übersichtlicher gestaltet. Eine der Neuerungen bestand darin, dass der Turnrat alle zwei Jahre neu gewählt werden sollte. Im Oktober 1962 stand wieder die Gründung einer Abteilung auf dem Programm, in diesem Fall fanden die Basketballer ihre Heimat bei den Mülheimer Turnern. Auch die Jüngsten versuchte der Verein mit einer Abteilung für Kleinstkinderturnen an sich zu binden.
Der Grundstein für die auch heute noch starke Einbindung des Vereins in das soziale Umfeld Mülheims wurde in den 60er Jahren gelegt. So stellte der Mülheimer Turnverein nach einem neuen Mietvertrag mit der Stadt Köln vom April 1963 Schulen des Stadtteils die Sportanlage zur Verfügung. Aber auch umgekehrt engagierte sich der Turnverein vor Ort in den Schulen. Dazu erklärte der Oberturnwart am 6. August 1964, „wie das Vereinsleben durch die Oberschüler des Naturwissenschaftlichen Gymnasiums bereichert werden könnte. Man will der Schule einen ganzen Abend zur Verfügung stellen...Den gleichen Plan hat der Oberturnwart mit der Turnhalle in der Kattowitzer Straße bzw. Lassallestraße vor, wobei er mit einem verstärkten Zufluß aus den benachbarten Gymnasien rechnet.“
Trotz ständig steigender Mitgliederzahlen und Abteilungen kam im Verlauf der 60er Jahre das „Vergnügen“ nicht zu kurz. Neben Abteilungsfesten organisierte der Turnrat für den ganzen Verein weiterhin verschiedene Bälle wie das alljährliche Stiftungsfest oder speziell für die Jugendabteilung die Karnevalsveranstaltung: "Bö-Bu-Ball" (Böse-Buben-Ball). Ab Mitte der 60er Jahre nahm auch die Kooperation und Einbindung des Vereins in Sportbünde zu. So wurde 1965 erstmals der Jugendball in Zusammenarbeit mit dem Stadtsportbund in der Mülheimer Stadthalle durchgeführt. Auf Wunsch des Stadtsportbundes stellte der Verein 1966 die Sportplatzanlage an einem Tag in der Woche zur Abnahme des Sportabzeichens auch an Nichtmitglieder zur Verfügung. Im gleichen Jahr wurde auch der Aufnahmeantrag für den Ortsverband Kölner Schwimmvereine abgegeben.
Angesichts von rund 1400 aktiven Mitgliedern, die in sieben Turnhallen, zwei Gymnastikhallen und auf der Sportplatzanlage trainierten, wuchsen die Klagen über die unzureichenden Trainingsstätten. Deshalb versuchte sich der Verein sich selbst zu helfen, um nicht auf die Stadt oder andere Institutionen angewiesen zu sein. Dabei erhielt der Turnverein Mülheim zumindest verbale „Schützenhilfe“ durch die Stadtverwaltung wie der Bericht vom 20. Februar 1964 zeigt: „Tb. Grünberg teilte weiterhin mit, daß der Oberstadtdirektor Dr. Adenauer unsere Anlage besichtigt hat und mit unseren Vorstellungen über die Veränderung bzw. Erweiterung der gesamten Sportplatzanlage weitgehend übereinstimmt. Die Gänge sollen zugeschüttet, die Straße (Herler Ring) verlegt und einige neue Tennis- und andere Spielplätze angelegt werden, und zwar möglichst noch im Jahre 1964.“

Ein Blick in die Vereinsunterlagen von 1965 verrät, dass für damalige Verhältnisse erhebliche Summen für den Unterricht und die technische Ausrüstung der Abteilungen investiert wurde. So wurden 1965 als Honorare für Übungsleiter etwa 23.000 Mark veranschlagt und für neue Geräte 10.300 Mark. Dies machte sich allerdings durch große sportliche Erfolge „bezahlt“. So errangen bei den Deutschen Meisterschaften in Schweinfurt Elsbeth Hommelsheim (Einzel) und Gisela Henn / Hildegard Mittenzwei (Doppel) im September 1964 die Deutschen Jugendmeistertitel im Ringtennis. Bei diesen Meisterschaften „regnete“ es fast Medaillen für den Turnverein Mülheim am Rhein. Denn mit drei 2. Plätzen, zwei 3. Plätzen und zwei 4. Plätzen war er der erfolgreichste Verein der Ringtennis-Meisterschaft Dies führte dazu, dass der Turnverein am 10.Juli 1965 ein bundesoffenes Ringtennis-Turnier auf seiner Anlage veranstaltete und dazu unter Anstrengungen 100 Privatquartiere für die Teilnehmer stellen musste. Im darauffolgenden Jahr konnten Gisela Henn und Hildegard Mittenzwei einen weiteren Titel erringen und wurden Deutsche Meisterinnen im Damendoppel der Meisterklasse im Ringtennis. Aber auch die Kunstturn-Abteilung konnte Erfolge verbuchen und mit Christel Schild im April 1965 eine Rheinische Jugendmeisterin präsentieren. 

Im August 1965 wurde den Verantwortlichen des Mülheimer Turnverein erstmals klar, dass ein Verein mit dieser Mitgliederstärke auf Dauer nicht ohne einen festangestellten Geschäftsführer bestehen kann. Zum 1.Januar 1966 trat Werner Otto seine Position als erster hauptamtlicher Geschäftsführer an. Somit hatte der Turnverein Mülheim am Rhein den Sprung in die Professionalität geschafft. Ein weiterer wichtiger Etappensieg wurde auch mit dem Abschluss des Turnerheim- Ausbaus erreicht, der insgesamt 35.037,51 Mark kostete, 10.000 Mark mehr als ursprünglich geplant.

Die Möglichkeiten, die das neuerbaute Genovevabad bot, dessen Programm bei der Eröffnungsfeier am 2. Dezember 1966 der TV Mülheim gestaltet hatte, und die hochkarätigen neuen Trainer Ulli Reff (Deutscher Meister im Kunst- und Turmspringen) und Heidrun Otto (Westdeutsche Meisterin im Kunst- und Turmspringen) sorgten für einen enormen sportlichen Aufschwung in der Schwimmabteilung. Im gleichen Jahr erhielt der Verein „durch Zufall“ auch eine leistungsstarke Volleyballmannschaft. Denn die Volleyball-Oberligamannschaft der Damen des ESV Olympia Köln trat geschlossen aus, um zu TuS 04 Leverkusen zu wechseln. Durch persönliche Kontakte schloss sie sich dem TV Mülheim an. Den Wechsel vollzog auch der Trainer, der gleichzeitig Dozent für Volleyball an der Deutschen Sporthochschule in Köln war. 

Auch für andere Abteilungen gewann der Mülheimer Turnverein immer öfter kompetente Lehrkräfte. So stellte der Verein 1967 das Turnlehrer-Ehepaar Hedi und Heinz Jahnke als erste hauptamtliche Übungsleiter ein. Unter der Leitung des mehrfachen Deutschen Meisters Roland Schillinger und des Trainers Dieter Schulz (Deutscher Meister und Vize-Europameister) brachte die Trampolinabteilung 1967 auch Weltmeister hervor. Denn bei den IV. Trampolin-Weltmeisterschaften in London errangen die Vereinsmitglieder Hartmut Riehle und Kurt Treiter am 17. Juni den begehrten Titel.

Da Erfolge bekanntlich anziehend wirken, stieg die Mitgliederzahl zum 1. Januar 1968 auf 2758 Mitglieder. Damit war der Turnverein Mülheim am Rhein größter Turnverein in Köln und im Rheinischen Turnerbund. Aber damit waren die Höhenflüge für diese Dekade noch nicht beendet. Denn beim Deutschen Turnfest in Berlin wurde die Volleyballmannschaft im April 1968 Turnfestsieger. Nur wenige Monate später, errang Ingrid Pause bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften in Münster vom 23. bis 26. Juni gleich fünf Mal den Titel einer Deutschen Hochschulmeisterin im Turnerinnen-Vierkampf (Stufenbarren, Sprung, Schwebebalken und Bodenturnen). Die Basketballabteilung schloss die Reihe der Superlative für die 60er Jahre ab. Denn mit 10 Mannschaften und 145 Spielern war die Abteilung die mitgliederstärkste in der Bundesrepublik Deutschland. Somit kam statistisch jeder 3. Kölner Basketballspieler aus dem Turnverein Mülheim. Der Abschluss des Jahrzehnts war allerdings weniger erfreulich, da der Geschäftsführer Werner Otto, um vorzeitige Entlassung aus seinem Vertrag bat, da er ab 1. März 1969 die Position als Verbandstrainer für Wasserspringen des Landes Nordrhein-Westfalen antrat. Aber der Turnverein Mülheim am Rhein konnte gelassen ins nächste Jahrzehnt gehen, denn die Grundlagen für einen professionell geleiteten Großverein waren gelegt.

Das geschah sonst noch in Köln

1962    Deutschlandfunk geht auf Sendung und 1. FC Köln wird Deutscher Meister
1963    US-Präsident John F. Kennedy besucht Köln
1964    Millionster Gastarbeiter wird auf Hauptbahnhof begrüßt
1965    Tour de France startet in Köln
1966    Schildergasse wird Fußgängerzone und Hildegard Knef gibt Debüt als Chansonsängerin
1967    Konrad Adenauer im Dom aufgebahrt
1968    OB Theo Burauen löscht in Ehrenfeld letzte Gaslaterne
1969    US-Mondfahrer werden begeistert empfangen

 

Trotz ständig steigender Mitgliederzahlen und Abteilungen kam im Verlauf der 60er Jahre  das „Vergnügen“ wie z. B. im Karneval 1960 nicht zu kurz