Die Gründung des MTV Köln vor 150 Jahren fiel in eine Zeit der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche. Nur der Verzicht auf „politische Tendenzen“ ermöglichte seine Gründung und sein Fortbestehen, während andere Turnvereine aufgelöst wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts - Revolutionsstimmung schwappte von Frankreich nach Deutschland. Auch in Köln, das zu dieser Zeit zum preußischen Königreich gehörte, „gärte die Volksseele“. Im März 1848 wurden Forderungen nach allgemeinem Wahlrecht, Rede- und Pressefreiheit und unentgeltliche Schulbildung laut. Am Dom wurde die schwarz-rot-goldene Fahne als Symbol der deutschen Einheit gehisst. Der in dieser Zeit in Köln weilende Karl Marx übernahm mit Friedrich Engels eine führende Rolle in den Reihen der Kölner radikalen Kräfte. Aber schon im September 1848 wurde über die Domstadt der Belagerungszustand verhängt, die Kölner kehrten aus Angst vor gewaltsamer Niederschlagung langsam zum Alltag zurück. So kam es hier nicht mehr zu Aufständen wie im Frühjahr 1849 in Baden oder der Pfalz.
In den Strudel der politischen Wirren wurden auch die Vereine gezogen, in denen sich der selbstbewusster gewordene Bürger organisiert hatte. So wurde in der Revolutionszeit und kurz danach auch mit dem Turnen und den „freien“ Turnvereinen die Hoffnung auf Freiheit und nationale Einheit verbunden. Wegen politischer Tätigkeit verbot der preußische König daher zahlreiche Turnvereine.

In diese für ganz Deutschland aufregende Zeit fiel die Gründung des „Turnvereins Mülheim am Rhein“. So trafen sich am

17.Juni 1850 in der Weinwirthschaft „Im goldenen Wagen“ von Hermann Daniels in der Wallstraße 106 die Gründerväter des heutigen MTV Köln. Denn wie es in der Gründungurkunde heißt: „Der lange gehegte Wunsch, hier am Platze, zur Ausbildung der körperlichen Kräfte, für Männer und Jünglinge, einen Turnverein zu begründen, fand heute seine Gewährung. Es bildete sich eine Gesellschaft von 14 Personen, theils Männer, theils Jünglinge, die ihr Vorhaben mit Lust und Liebe zu beginnen versprachen. Hoffend, daß es ihnen gelingen, daß sie recht viele Nachahmer finden möchten.“ Damit der Verein in diesen unsicheren Zeiten nicht gleich wieder aufgelöst wurde, haben die Gründerväter mit der ersten Satzung eine zukunftsweisende Entscheidung getroffen. Sie legten fest, dass der Turnverein „einzig die Ausbildung der körperlichen Kräfte bezweckt; politische Tendenzen bleiben ganz entfernt.“

Nach dem alle Formalien einer Vereinsgründung erfüllt, also beispielsweise die Mitglieder des sogenannten Turnrates mit Ed. Seyffert als Vorsitzenden, W. Murmann für die Position des Turnwartes und F. Schmitt als Schatz-u. Schriftwart bestimmt waren, wurden schon im Gründungsprotokoll die Turnstunden festgelegt. So beschlossen die Männer, sich immer montags abends ab acht Uhr im Garten des Weinlokals zum Turnen zu treffen und nach Einbruch der Dunkelheit eine Versammlung in ihrem neuerkorenen Stammlokal abzuhalten. Die weiteren Turnstunden wurden auf Donnerstag und Sonntag Morgen von sechs bis acht Uhr festgesetzt. Selbst für Regenwetter war vorgesorgt, denn der Wirt stellte seine Kegelbahn für die Turnübungen zur Verfügung.

Die Gründer des „Turnvereins Mülheim am Rhein“:
Jakob Becker, Fr. Benninghoven, Markus Cahen, Hermann Gaertner, E. Gebauer, J. Israel, Alb. Jansen, Hugo Möhl, W.Murmann, E.Seyffert, Ferd. Schmitt, Heinr. Weisel, Rudolf Winkler und Ernst Wolfshohl.

Die Beiträge Anno 1850:
für aktive Mitglieder: 2 Thaler jährlich
für inaktive Mitglieder: 1 Thaler jährlich
Eintrittsgeld: 1 Thaler
Einnahmen und Ausgaben nach einem Jahr des Bestehens (28.Juni 1851):
Einnahmen: 72 Thaler und 16 Silbergroschen
Ausgaben: 72 Thaler und 11 Silbergroschen

Die Turnvereine, die zu dieser Zeit in Deutschland bestanden, setzten sich in der Mehrzahl aus jungen Handwerkern, Arbeitern und Gewerbetreibenden zusammen und weniger aus Schülern und Studenten wie zu Zeiten Turnvater Jahns zu Beginn des Jahrhunderts. Es waren Männerturnvereine entstanden, die sich auf strenge Regeln beriefen. Darin machte auch der MTV Köln keine Ausnahme. Schon im dritten Sitzungsprotokoll des Vereins vom 1. Juli 1850 wurde ein für heutige Verhältnisse interessantes Verfahren eingeführt, wie neue Mitglieder in den Verein aufgenommen werden sollten: „Neu aufzunehmende Turner oder Turnfreunde werden vierzehn Tage auf die Ballotagetafel (Aufnahmetafel) geschrieben; im Falle irgend ein Mitglied die Ballotage desselben wünscht, schreibt er dieses mit dem einfachen Wort ‚Balge‘ darunter, und es wird zur Ballotage ... geschritten.“

Obwohl erst wenige Monate seit der Vereinsgründung vergangen waren, begannen fast alle Protokolle der wöchentlich stattfindenden Sitzungen mit der Klage über mangelnde Beteilung. Ein Phänomen, das über die Jahre hinweg bis heute immer wieder aktuell ist. So schreibt sich der Schriftwart am 28.9.1850 richtig in Rage:
... sämtliche anderen Mitglieder fehlten, und zwar ohne irgend einen genügenden Grund, ohne alle Entschuldigung. Ich mäßige mich, die Gefühle niederzuschreiben, die sich in unserer leider so schwachen Zusammenkunft den Säumigen gegenüber aussprachen. Es genügt uns denselben gegenüber die Verlesung dieses, da wir hoffen, daß jedem von ihnen noch ein Fünkchen Turnerwürdiges Ehrgefühl inne wohnt!...Schließlich komme ich nochmals auf die Säumigen zurück, denen im Laufe der nächsten Woche ein schriftlicher Turn-Denkzettel ausgesprochen wird.“

Der schriftliche Denkzettel reichte bald schon nicht mehr aus. So beschloss der Verein z. B. am 26.April 1853, dass jeder Turner, der ohne vorhergeschehene Entschuldigung die Monats-Sitzung oder General-Versammlung versäumt, eine Strafe von 2½ Silbergroschen zu zahlen hat. Besonders hart traf es im selben Jahr zwei Turner, die wegen sechswöchigen Fernbleibens „nicht mehr Mitglieder sind“. Dies war Ausdruck dafür, dass die Turnvereine sich als Erziehungseinrichtung für den erwachsenen, selbstbewussten Bürger verstanden und die Selbstdisziplinierung zu bürgerlicher Tugendhaftigkeit auf ihre Fahne geschrieben hatten. Im Turnverein Mülheim am Rhein wacht über die Tugendhaftigkeit das am 2.August 1851 aus August Prior, Albert Jansen, Hugo Möhl gebildete Ehrengericht.

Im ersten Jahr des Bestehens beteiligten sich bereits zwei Turner des neuen Vereins an dem am 1.September 1850 in Köln stattfindenden Turntag. Der Teilnahme an diesem beliebten, sogenannten Schauturnen sollten noch viele andere folgen. Zum ersten Mal organisierte der Turnverein Mülheim am Rhein im Gründungsjahr auch eine Turnfahrt. Der Ausflug führte die Turner am 25. Mai 1851 nach Haus Vorst. Diese beiden Ereignisse im ersten Jahr des Bestehens zeigen, dass die Turnvereine in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur Vereine zur Pflege körperlicher Übungen waren, sondern auch Geselligkeitsvereine, Männervereine und Vereine zur Pflege deutscher Lieder und Gesänge. So endeten zahlreiche  Turnerversammlungen des Turnvereins Mülheim am Rhein mit Gesang oder der Rezitation eines deutschen Gedichts. 

Als im Sommer 1851 in der Nachbarstadt Köln, der Coelner TV von 1843 durch die Polizei aufgelöst wurde, fanden zahlreiche Turner eine neue Heimat beim Turnverein Mülheim am Rhein. In diese Zeit fiel auch die Feier des ersten Stiftungsfestes am 13. Juli 1851, das in der Volk’schen Wirtschaft an der Deutzer Chaussee auf dem heutigen KHD-Gelände gefeiert wurde. An der Feier nahmen auch insgesamt 60 Turner aus Köln, Düsseldorf, Kaiserswerth und Burscheid teil. Das Stiftungsfest erregte viel Aufsehen bei den Bürgern Mülheims, denn die Turner zogen mit Fahnen und unter Musikbegleitung bis zum Turnplatz, wo in Riegen geturnt wurde. Nach Meinung des Vereinschronisten „konnten sich die Mülheimer insbesondere davon überzeugen, was ein Verein junger Leute, wenn er auch von ihnen verkannt und verspottet worden war, vermag, wenn dieselben kräftig zu gemeinsamen Wirken zusammenhalten und stets den sich gestellten Zweck vor Augen halten.“

Da die Turnvereine seit der Revolution von 1848/49 zu den politischen Vereinen gezählt wurden, unterlagen sie der besonderen Beobachtung der wachsamen Obrigkeit. So wurden am 18. Juni 1852 bei fast allen Vorständen der Turnvereine Hausdurchsuchungen abgehalten. Die meisten Vereine lösten sich auf, bei den übrigen verringerte sich die Mitgliederzahl bedeutend. So bestanden in den Rheinlanden schließlich nur noch Turnvereine in Köln, Düren, Eupen, Barmen, Elberfeld, Duisburg, Mönchen-Gladbach und Mülheim am Rhein.

Dies störte den turnerischen Eifer der Mülheimer nicht im Geringsten. Denn der Verein nahm in den nächsten Jahren mit Begeisterung an Schauturnen befreundeter Vereine teil und veranstaltete sie selbst wie am 10. Juli 1853 im Lokal „Magdeburg“ mit 70 Teilnehmern aus Köln, Düsseldorf, Duisburg, Hückeswagen und Burscheid. Erstmals wurde das Schauturnen durch ein Fest abgeschlossen: „Hier wurden vom Mülheimer Quartett und einem Cölner Gesang-Verein abwechselnd Lieder vorgetragen und danach einige lustige Tänze gemacht.“ Nach einem weiteren großen Fest im darauffolgenden Sommer flaut das Interesse der Mitglieder am Verein und seinen Aktivitäten bis zum Sommer 1856 merklich ab. Zu der am 14.Juni 1856 einberufenen Generalversammlung erscheinen 15 Mitglieder mit dem festen Vorsatz, den Verein wiederzubeleben. Aber nur bei einem offiziellen Schauturnen am 27./28.Juli 1856 in Duisburg nehmen sieben Turner aus Mülheim teil.

Den äußeren Anlass die Vereinstätigkeit vorerst ruhen zu lassen, gibt am 19.März 1857 der Wirt Daniels, der dem Verein bisher den Sommerturnplatz für acht Taler jährlich gestellt hatte. Er stellt fest, dass „er keinen Nutzen vom Verein habe, und zudem mehr vom Turnplatze, als Kartoffelacker bearbeitet, profitirte.“ Die Turngeräte wurden bei einem Mitglied eingelagert und man hoffte auf bessere Zeiten.

Inventurliste im Frühjahr 1857

1.    Ein Gerüst (am Ende, wo es in der Erde stand, total faul)
2.    Ein Reck
3.    Eine Leiter (fast neu)
4.    Ein transportabler Barren (defect an den Holmen)
5.    Ein Schwingel (Pferd) gepolstert, mit Griffen zum anschnallen
6.    Ein Springbock
7.    Ein Sprungbrett
8.    Eine Trambolline zum Auflegen des Sprungbretts
9.    Ein Springgestell (nummerirt, zum Ueberlegen der Springschnur)
10.    Eine Streck-Schaukel (zwei Seile mit Krampen von Eisen und Ledergriffen)
11.    Eine Springschnur (mit Lederhäkchen)
12.    Zwei Paar Handeln (= 4 Stück ) = 2 Handeln und 2 x 20 Pfünder mit Ringen)
13.    Zwei 50 Pfünder
14.    Zwei Rapiere
15.    Eine Kiste (verschließbar) zum Aufbewahren der kleinen Geräthschaften.

Außerdem besitzt der Verein eine Fahne, ein Diplom "Gut Heil" und Vater Jahn im Goldrahmen, eine Geldbüchse, Fahnengurt und Schärpe, Bücher etc., Statuten in Urschrift von 1850. Der ad. 6 bezeichnete Springbock ist Eigenthum des Cölner Turn-Vereins und uns auf unbestimmte Zeit überlassen.

Erst am 26. Juni 1858 trafen 10 frühere Mitglieder zu einer Generalversammlung im Lokal „Magdeburg“ des Robert Keill zusammen, um das Turnen wiederzubeleben. Die eingelagerten Geräte wurden auf den kostenlos zur Verfügung gestellten Turnplatz des Wirts geschafft und den Sommer über benutzt. Aber der Enthusiasmus legte sich rasch, so dass der Verein wieder bis 1860 ruhte.

Das geschah sonst noch in Köln:

1850    Heinrich Auer baut in Nippes die „Aurora“-Mühle 
1853    „Rhein-Dampfschifffahrt, Kölnische und Düsseldorfer Gesellschaft“ wird gegründet
1855    Grundstein zur ersten festen Rheinbrücke seit der Römerzeit gelegt
1857    Ausbau des Gürzenich vollendet und Deutz erhält Stadtrechte

 

Die Abschrift der Gründungsurkunde des Turnvereins Mülheim am Rhein von 1850:

 

Quelle: Jubiläumsmagazin des MTV Spiegels, "150 Jahre MTV Köln 1850", Juni 2000
Text: Claudia Schrader-Wingens

 

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